„Hey Daniel, der Chef will dich sprechen!“, schreit mir im vollen Laden die Bedienung entgegen. Die Tanzfläche bebt, ich freue mich mega, dass die Leute so abgehen. Aber, wenn der Chef ruft, muss ich hin, ordere meinen Kollegen an die Turntables und schreite zum Boss in der ehemaligen Disco Rainbow in Manching. Ich öffne die Tür und Blicke in ein zorniges Augenpaar. „Daniel, so geht das nicht!“. Ich erstarre und verstehe nicht, was er von mir will. Der Abend läuft doch super. „Seit drei Stunden spielst du einen Hit nach dem anderen, die Leute gehen ab und keiner verlässt die Tanzfläche“. Er schaut mich weiterhin vorwurfsvoll an. Ich checke immer noch nicht, was er von mir will. „Ja, super, oder?“, antworte ich. Auch er merkt, dass wir gerade meilenweit aneinander vorbeireden und bittet mich Platz zu nehmen. Er zündet sich eine Zigarette an und schaut mir erneut tief in die Augen: „Für dich als DJ mag eine volle Tanzfläche das Ziel sein, für mich als Wirt ist sie es nicht. Du musst öfter dafür sorgen, dass die Tanzfläche leer ist, nur dann trinken die Leute und ich mache Umsatz“.
Das Rainbow gibt es schon lange nicht, aber diese Lektion habe ich nie vergessen. Wer tanzt, trinkt weniger. Womit wir beim Tanzverbot und dem vergangenen Wochenende wären. Hier hat jedes Bundesland sein eigenes Gesetz und selbst in einer kleinen Großstadt wie Ingolstadt weiß die eine Tür nicht, was die andere macht – bzw. machen darf. So prangert am Eingang zum Shamrock an diesem Donnerstag das Schild „Karaoke“, doch der Security winkt ab: „Die Stadt war gerade da und hat Karaoke verboten, da Livegesang“. Im Suxul nebenan sowie an anderen Stellen läuft lautstark Musik und es darf bis 2 Uhr getanzt werden. Wo liegt der Fehler? Der Blick ins Bayernrecht der Staatskanzlei offenbart: „Der Schutz der stillen Tage beginnt um 2.00 Uhr“, was auch diesen Donnerstag betrifft. Beim Shamrock dürfte sich selbst das Amt geirrt haben.
Doch, was ist nun das Schlimme am Tanz? „Wer tanzt der trinkt und hält sich so nicht an das strenge Verbot von Genussmitteln, denn Christen sollen sich zu Ostern abstinent zeigen und fasten“, so eine schnelle Suche im Internet. Im Grunde geht es also nicht um Tanz an sich, sondern eher um das Fasten. Denn, wie wir gelernt haben, hat Tanz nicht unbedingt was mit Komatrinken zu tun, bzw. ist sogar das Gegenteil davon, wenn man die Besucher vom Rainbow als Referenz nimmt.
Warum gibt es überhaupt dieses Gesetz, wer befürwortet es und wer hat einen Vorteil? Der weitläufige Glaube sieht die Entstehung bei der Kirche. Kreuzigung Jesu und so. Auf Katholisch.de, dem Internetportal der katholischen Kirche in Deutschland, finden sich unterschiedliche Meinungen der eigenen Redaktion. Von „Wenn der Karfreitag kein Stiller Tag mehr ist, dann werden wir Christen weiterhin würdig den Tod unseres Herrn begehen, unabhängig davon, ob andere tanzen oder nicht.“, bis hin zu: „Die Zumutung, 24 Stunden lang aufs Tanzen zu verzichten, ist dagegen doch vergleichsweise klein“. (Links zu den Beiträgen am Ende)
Auf der „Konkurrenzseite“ evangelisch.de findet sich folgender Abschnitt: „Mit Argumenten allein wird man das Tanzverbot aber kaum mehr aufrecht erhalten können. Andererseits kann man den Karfreitag aber auch ohne Tanzverbot sinnvoll begehen, zumal eine solche Regelung in anderen Ländern unbekannt ist. In dieser Frage sollten sich Christen in Deutschland nicht verkämpfen“. Im Grunde kann es der Kirche auch egal sein, ob jemand tanzt oder nicht, sie alleinig kriegt jedes Jahr die schlechte Stimmung gegen sich ab. Ist die Front gegen die Kirche überhaupt gerechtfertigt? Letztendlich sind es nicht die Kirchen, die bis zu 10.000 Euro Strafe für Veranstalter aussprechen, sondern die Ämter in den jeweiligen Bundesländern. Also, wer ist nun der „Schuldige“ an diesem Gesetz und wer profitiert davon?
Einen Vorteil hat keiner. Den Kirchen weht Hass entgegen, die Ordnungsämter haben Mehrarbeit, Wirten und Veranstaltern entgeht Umsatz und Tanzfreudige sind aufgebracht.
Und wer ist nun der Schuldige? Das kurz und knapp zu beantworten ist schlicht unmöglich. So finde ich Belege über Tanzverbote ab dem 16. Jahrhundert in England & in Amerika. Wikipedia schreibt zu Deutschland: „Allgemeine Tanzverbote wurden in Deutschland gelegentlich verhängt, so etwa durch die NS im Ersten Weltkrieg 1914 und Silvester 1918 wieder aufgehoben. Im September 1939, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, untersagte die nationalsozialistische Regierung öffentliche Tanzveranstaltungen mit der Begründung: „Das Tanzverbot ist ein Ausdruck der Solidarität der Jugend mit der kämpfenden Front“.
Schieben wir das Tanzverbot auf die Tradition, die immer schon eine enorme Macht hatte. Größer als Kirche und Staat zusammen. Und obwohl 2016 das Bundesverfassungsgericht den strengen Schutz des Karfreitags, wie er bis dahin in Bayern gegolten hatte, für verfassungswidrig erklärte, hält unser Bundesland an der Tradition fest, Sanktionen für Veranstalter auszusprechen. Warum? „Weil es immer so war und so ists guat“.
P.S.: Statt tanzen waren wir beim Griechen. Es war schön und süffig. Ein Ouzo zum Start, drei Bier zum Gyros und dann noch ein paar Absacker. Letztendlich sicherlich doppelt so viel, wie ich sonst im Rainbow verzehrt hätte. Chef Sepp hatte Recht: „Wer tanzt, trinkt nicht“.
Party on!
P.S.: Heute am Sonntag Ü30 im sepparee, Ingolstadt. Dann wieder mit Tanz! God bless you & die Jugend an der Front!
Quellen:
https://www.katholisch.de/artikel/8408-der-stillste-tag
https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayFTG-3
https://de.wikipedia.org/wiki/Tanzverbot
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